«Die Menschen haben das Bedürfnis nach Aufrichtigkeit in der Kommunikation, sie suchen einen guten Freund und nicht eine Religion»
Wir stellen Ihnen ein Interview mit dem indischen spirituellen Lehrer Shri Gurudev Shri Prakash Ji vor. Er wurde in Indien in der Stadt Patna, der Hauptstadt von Bihar geboren, doch seit mehr als 25 Jahren lebt er und lehrt spirituelles Wissen nach vedischer Tradition in Russland. Seine Kinder studieren und leben auch in Russland und besuchen nur ab und zu ihre Großeltern in Indien. Guru Ji selbst hält Satsangs (Lehrvorträge) in seinem Ashram in der Nähe von Moskau.
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass die indische Philosophie ein so großes Interesse unter den verschiedensten Schichten der Bevölkerung weckt, und Intellektuelle sich immer vom Hinduismus angezogen gefühlt haben?
Ich denke, dass die Menschen zu uns kommen, nicht weil wir im Sinne einer bestimmten Religion, in diesem Fall des Hinduismus, predigen, sondern aus Gefühlen der Liebe und der Freundschaft. Ich spreche viel mit den Menschen, die zu mir kommen, um nach Rat zu fragen und freundschaftliche Unterstützung zu erhalten. Der Mensch fühlt es, wenn man ihm von Herzen nur das Gute wünscht.
Wir möchten keinen bekehren, wenn die Menschen interessiert sind und es Ihnen bei uns gefällt, können Sie zu uns kommen. Ich selbst bin sehr offen, was religiöse Traditionen betrifft. Wenn es etwas Gutes in anderen Religionen gibt, dann werde ich das selbst auch lehren.
Haben Sie im Rahmen des Hinduismus eine bestimmte Richtung für sich ausgewählt?
Hinduismus ist ursprünglich der Weg der Selbstvervollkommnung, auf Sanskrit heißt es ‚Sanatana Dharma‘, was übersetzt das ewige geistige Prinzip, das ewige spirituelle Prinzip bedeutet.
Ich lehre Yoga als Teil des vedischen Wissens, angefangen von physischen körperlichen Übungen bis hin zur Philosophie.
Mit Yoga meint man heute eher physische Übungssysteme, aber ich spreche jetzt von Yoga als Philosophie, nach der Gott eine große Kraft ist, die in allem vorhanden ist. Gott ist als Kraft und Energie in uns gegenwärtig. Aber um Gott in sich zu fühlen, muss man sein Bewusstsein reinigen und beruhigen. Deswegen betet man und praktiziert man Meditation.
Mein Isht (geliebtes Abbild Gottes) ist Shiva.
Das wichtigste Beispiel für Spiritualität sind für mich meine Eltern, meine Mutter lehrte mich, dass es kein geistiges Leben ohne Mantra und Gebet geben kann.
Welche Haltung haben Sie zu den anderen Richtungen des Hinduismus, die in Russland vorhanden sind?
Ich verstehe und erkenne die verschiedensten Richtungen des Hinduismus an, sowohl die dualen, als auch die nicht-dualen Interpretationen in Bezug auf Gott und die Welt.
Gott ist die Kraft und Energie, die in jedem Teilchen der Welt vorhanden ist. Es kann nicht sein, dass mein Gott in einem Raum ist und im anderen Raum ein anderer Gott ist. Gott ist eins, und er ist immer und überall.
Gott ist einzig, und er ist die Liebe. Der Prozess der Erkenntnis Gottes sollte nach und nach und auf natürliche Weise für jeden geschehen.
Die meisten Menschen kommen zu uns nicht wegen des Bedürfnisses Gott zu erkennen, nicht wegen der Religion, sondern weil sie das Bedürfnis haben nach aufrichtiger und herzlicher Kommunikation, nach einem weisen und freundschaftlichen Rat. Dem einen fehlt zwischenmenschliche Kommunikation, ein anderer sucht innere Harmonie. Und das, was ich lehre: Meditation, Mantra-Rezitation – das hilft ihnen, gibt Freude und innere Ruhe.
Sind Sie damit einverstanden, dass Ihre Sichtweise des Hinduismus und der Gestalt Gottes dem Neo-Vedanta nahe ist, dem, was Swami Vivekananda lehrte?
Ja, in gewisser Weise ist das so. Vedanta ist eine weitläufige vedische Philosophie, die Gott sowohl in Gestalt, als auch ohne Gestalt versteht. Die Grundlage dieser Lehre sind die Veden. Swami Vivekananda hat die klassische Vedanta-Philosophie auf seine Zeit angewendet.
Im Rahmen der Philosophie, die Sie lehren, hat die Mantra-Praxis eine wichtige Bedeutung. Was verstehen Sie unter Mantra und ihre Wirkung auf den Menschen?
Als Lehrer gebe ich Mantras für die Reinigung des Karmas und des Bewusstseins, des Verstands. Wenn man das Wort Mantra übersetzt, bedeutet es “das, was den Verstand beruhigt”. Das ist die einfachste Bedeutung des Mantras. Wenn der Mensch regelmäßig das Mantra wiederholt, dann wird sein Verstand ruhig und es kommt innere Freude auf.
Ich gebe vedische Mantren, die schon seit Jahrtausenden existieren. Für die Vervollkommnung durch die Mantra-Rezitation, ist natürlich die Praxis des Mantras wichtig.
Aber nicht nur die Meditation an sich ist wichtig. Der Weg zu einem hohen spirituellen Zustand fängt immer damit an, dass man in seinem Leben eine Ordnung schafft, dass man seine Aufgaben in der Gesellschaft erfüllt und Gutes tut, ohne dies wird man keine Ruhe finden. Das ist die erste Stufe der Spiritualität.
Es gibt drei Arten von Karma: alles was wir sagen, alles was wir denken und alles was wir tun. Das sind unsere Worte, Gedanken und Taten. Jede unserer Handlungen wird gespeichert im Universum, und früher oder später bringt es das entsprechende Resultat. Wenn wir also Gutes tun, sagen, denken, wird unser Karma gut sein und umgekehrt. Das Karma wird bewahrt im Weltraum und kehrt aus dem Weltraum zu uns zurück. Auf diese Weise bestimmen unsere vergangenen Handlungen unser Karma, das was mit uns im Leben passiert. Die Praxis besteht darin, den Namen Gottes oder das Mantra mit dem Namen Gottes zu wiederholen, welche das negative Karma, die Gedanken, die Impulse reinigen. Das führt dazu, dass man gut zu handeln beginnt.
Was kann und sollte der Mensch Ihrer Ansicht nach durch den Prozess der Meditation erreichen?
Die Meditation hat in der Hindu-Tradition viele verschiedene Stufen. Die erste Stufe ist Dharna: der Praktizierende sitzt und konzentriert sich auf das Licht oder ein anderes Objekt und strengt sich immer wieder von Neuem an, seine umherschweifenden Gedanken zu sammeln, er bemüht sich wieder und wieder sich zu konzentrieren.
Die zweite Stufe ist Dhyan-Meditation: der Mensch vertieft sich gleich in das von ihm geliebte Abbild Gottes, in sein Mantra. Er hat keine Gedanken, in diesem Moment existieren nur zwei Objekte: er selbst und die Gestalt auf die er meditiert.
Und die dritte Stufe ist schließlich Samadhi, das ist ein Zustand, in dem es keine zwei Objekte mehr gibt, wenn der Mensch mit dem Objekt seiner Meditation vollständig verschmilzt. Samadhi ist die höchste Stufe der Meditation.
Ich lehre Konzentration. Je besser der Mensch lernt sich zu konzentrieren, desto mehr Energie wird in ihm Aufwachen, Energie, die ihm hilft bei jeder Tätigkeit und bei dem spirituellen Fortschritt. Es gibt Meditation sowohl mit als auch ohne Mantras.
Ich finde die Reinheit der Worte, Gedanken und Taten sehr wichtig. Ständige Erinnerung an Gott, die Wiederholung seiner Namen, bringt allen nur Gutes, denen, die das wiederholen und allen um sie herum: auch der Familie, und man kann sogar sagen, es breitet sich auch auf die Stadt und das Land aus.
Kann man bei der Meditationspraxis und der Mantra-Rezitation eine beliebige Gestalt als Konzentrationsobjekt verwenden?
Ich weiß, dass Gott eins ist. Er ist überall. Seine Kraft und Energie ist in uns allen, und genau deswegen können wir leben. Vishnu oder Christus sind in jedem Menschen – das ist Licht. Ich gebe nicht eine bestimmte Gestalt Gottes vor; wenn der Mensch sich an Gott wendet, betet und meditiert, kann er sich Gott in beliebiger Form vorstellen und zwar in der Form, an die er glaubt und die er liebt. Das kann die Gestalt Shivas, Krishnas, Jesu Christi oder jede andere Erscheinung eines Heiligen sein, den der Mensch verehrt.
Wie ist Ihre Beziehung zu den Heiligen in der christlichen Tradition?
Ich denke, dass man die Heiligen nicht durch den Rahmen einer Religion begrenzen kann. Ich achte auch die christlichen Heiligen. Sie sind nützlich für Gott und für alle Menschen heute. Im Hinduismus gibt es auch viele Heiligen. Ich denke, ein Heiliger muss nicht unbedingt nur einer bestimmten Religion angehören. Wenn man heilig ist, dann ist man es für alle. Heilige gehören der ganzen Menschheit. Sie alle befinden sich im weltlichen Ozean der Spiritualität, und wir sollten alle zusammen auf diesem Planeten leben und uns vervollkommnen.
Und wie unterrichten Sie Ihre Nachfolger?
Ich gebe spirituelles Wissen vor allem durch Satsangs weiter, das ist eine Art Vorlesung oder ein Lehrvortrag, das ist die Zeit des Unterrichts für alle, die sich das wünschen. Ich spreche über Yoga und Mantras und erkläre ihre Bedeutungen. Ich lehre ein spirituelles Leben in der Welt als ein Teil des Yoga.
Bei uns liegt der Schwerpunkt nicht auf dem Rückzug von der Welt und dem Verzicht auf alles Weltliche. Im Gegenteil sollte man alles daran setzen, um sich bei seiner Arbeit zu verbessern, in seinem Beruf und ebenfalls auf dem geistigen Weg. Man kann sich auch durch seine Kinder verwirklichen. Ich selbst bin auch ein Familienmensch.
Wir meditieren und rezitieren Mantras jeden Tag, um Gott immer nah zu sein und bemühen uns die Welt besser zu machen.
Die Spiritualität ist ein Fluss, der in seinem eigenen Rhythmus fließt. Ich möchte den Menschen einfach Wissen geben. Ich predige für die, denen es gefällt und deren Herz sich öffnet für mein Wort.
Spielt die russisch-indische Freundschaft im geistigen Sinne eine Rolle für Sie?
Russland und Indien haben eine starke Verbindung. Sie haben noch nie Krieg gegeneinander geführt. Sowohl in der sowjetischen Zeit, als auch in der jetzigen Zeit, halfen sich unsere Länder gegenseitig. Ich selbst bin nach Russland gekommen, um zu studieren, und ich habe gefühlt, dass das russische Land Europa zwar näher ist, aber die Herzen der russischen Menschen sind Indien näher. Die russischen Menschen haben eine Menge Gefühle und Emotionen in ihren Herzen. Die indischen Yogis haben auch früher schon immer Russland besucht. Sie wussten, dass Russland eine große Bedeutung in der Zukunft haben wird, als das Land, das seine hohe geistige Kultur bewahrt hat.
Im Interview mit Roman Lukin. Chefredakteur des Portals “Religion und Recht”, Direktor des Zentrums für das Studium der Probleme der Religion und der Gesellschaft des europäischen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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